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"Heilsame Handarbeit"Alternative manuelle Therapien sind mehr als nur Massagen: Sie basieren auf uraltem Wissen von sabine littkemann Behutsam tastet die Therapeutin den kleinen Kinderschädel ab. Ihre Hände wandern die Halswirbelsäule hinab, und immer wieder halten sie inne, drücken sanft, ziehen sachte. Ruth Hellmund ist mit ihren erfahrenen Händen Fehlspannungen und Blockaden auf der Spur, die Hannahs Beschwerden erklären könnten. Das sechsjährige Mädchen hält seit einigen Wochen Kopf und Hals unnatürlich schief, die Ursache ist unklar. Es war schließlich Hannahs Kinderarzt, der eine craniosacrale Therapie empfahl. Craniosacrale Osteopathen ertasten den Puls des Liquors und gewinnen so wichtige Informationen für ihre Diagnose und Therapie. Mit ihren geschulten Händen nehmen sie auch feine Bewegungen am Schädel und am übrigen Körper wahr und können so Spannungen und Bewegungseinschränkungen im Gewebe, im Fachjargon Dysfunktionen genannt, lokalisieren. Mit sanften Druckimpulsen lösen sie die Dysfunktionen auf und stellen damit die Bewegungsfähigkeit der betroffenen Kör-perpartie wieder her. „In der Folge verschwinden auchdie Symptome, die dem Patienten zu schaffen gemacht haben, zum Beispiel Kopfschmerzen oder Verspannungen", erklärt Hellmund, die in Hannover eine Praxis für Physiotherapie und craniosacrale Therapie betreibt. Bei der kleinen Hannah hat sie Bewegungseinschränkungen der Schädelplatten festgestellt. Dies führe möglicherweise zu einer Beeinträchtigung der austretenden Hirnnerven und damit zu einer einseitigen Verspannung der Halsmuskulatur. Hellmund will die Beweglichkeit der Schädelknochen wiederherstellen, um den Druck auf den Nerv zu verringern. „Damit gebe ich dem Körper Hilfe zur Selbsthilfe, und die Halsmuskulatur kann sich wieder lockern." Wer sich in die Hände von Brigitte Scholz begibt, hat dagegen meist Probleme mit dem Bauch und dessen Innenleben. Die Heilpraktikerin und Physiotherapeutin mit Praxis in Hannover arbeitet vor allem mit den inneren Organen des Menschen und praktiziert - ergänzend zur craniosacralen Therapie - die so genannte viscerale Osteopathie. Auch in dieser osteopathischen Disziplin gilt: Nur wenn die Organe in ihrer freien Beweglichkeit im Bauchraum nicht gestört werden, funktionieren sie auch richtig. Denn mit jedem Atemzug, mit jeder Rumpfbewegung verschieben sich die Organe von Bauch, Becken und Brustkorb unwillkürlich gegeneinander. „Wenn es im Bauch hakt, sei es durch Operationen und Narben, aber auch durch Atemeinschränkungen, eine schlechte Körperhaltung oder verspannte Rumpfmuskeln, gibt es Probleme", sagt Scholz. Über Bauch- und Rückenschmerzen, massive Blähungen und Verstopfung klagt etwa eine 46-jährige Patientin, die unter Gallensteinen leidet. Eine operative Entfernung der Galle möchte die gestresste Mutter nach Möglichkeit umgehen. Scholz muss nicht lange tasten, um sich ein Bild zu machen. Zahlreiche Bauchoperationen haben bei der Frau zu inneren Verwachsungen und Verklebungen geführt, die nun die Verdauungsorgane schwächen. Leber und Galle sind durch die Gallensteine gestört. „Diese Beeinträchtigungen im Oberbauch setzen sich fort bis zur Brustwirbelsäule, mit dem Resultat, dass der Rücken hier auch wehtut", sagt die Therapeutin. Die Ursache eines Schmerzes liegt nach Ansicht der Osteopathen ohnehin oft an anderer Stelle im Körper. So können sich etwa chronische Magenprobleme mit Schmerzen im linken Schulter- und Nackenbereich bemerkbar machen. Die Osteopathie wurde Ende des 19. Jahrhunderts von dem amerikanischen Arzt Andrew Taylor Still (1828 bis 1917) entwickelt, der nach Möglichkeiten suchte, Krankheiten ohne Medikamente oder Operationen zu behandeln. Still ging davon aus, dass Leben immer in Bewegung ist und sich somit auch alle Bereiche im Körper ständig bewegen. Damit meinte er neben Knochen, Muskeln und Gelenken auch alle inneren Organe und Strukturen. So schlägt das Herz, weitet sich die Lunge, und es bewegt sich der Darm. Jeder Beweglichkeitsverlust bedeutet auch eine Schwächung oder Erkrankung der betroffenen Struktur. Osteopathen ertasten die Beweglichkeitseinschränkungen mit den Händen und korrigieren sie. Gelingt dies, werden die Selbstheilungskräfte aktiviert. HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG |